Twilio Aktienanalyse: Kommunikation auf allen Kanälen

20.04.2022 | Lukas Langer

Twilio Aktienanalyse

Jeder kennt diese Situation: Man ruft den Kundenservice mit einer Nachfrage zu einem Produkt oder möglichen Problemen an. Statt direkt mit einem Mitarbeiter verbunden zu werden, ertönt eine mechanische Stimme mit mehreren Nachfragen. Während das für den Kunden oft nervig erscheint, wird er so direkt zu einem qualifizierten Mitarbeiter weitergeleitet, der sich des Problems annehmen kann. Der Mitarbeiter erspart sich das gängige „Ich verbinde Sie weiter“ und das Unternehmen setzt seine Mitarbeiter effizient ein. Das spart sowohl dem Kunden als auch dem Unternehmen Zeit und Geld.

Genau diese Kundenkommunikation trifft, kurz gesagt, das Geschäftsmodell von Twilio. Das Unternehmen ist damit durchaus erfolgreich. Im Geschäftsjahr 2021 konnte das Unternehmen seine Umsätze um 61 Prozent steigern, in den Vorjahren um 55 Prozent und 75 Prozent. Aktionären bescherte das Unternehmen seit dem Börsengang eine Rendite von mehr als 370 Prozent.

Twilio Aktienkurs

Quelle: aktien.guide

Doch im letzten Jahr hatten die Anteilseigner – wie bei den meisten Technologieaktien – wenig Grund zur Freude. Der Twilio Aktienkurs drittelte sich beinahe von 389 auf 137 US-Dollar.

Bei andere Technologiewerten waren Kursverluste in der letzten Zeit oft kein Ausdruck von negativen Aussichten, sondern Folge der vorherigen Überbewertung. Ist das auch bei Twilio der Fall? Die Bewertung der Twilio Aktie ist innerhalb der letzten Monate deutlich zurückgekommen. Ist das nur ein kurzzeitiges Zwischentief, von dem aus wieder deutliche Kurssteigerungen möglich sind? Oder ist es erst der Beginn einer langjährigen Durststrecke für Aktionäre? In der nachfolgenden Twilio Aktienanalyse werfen wir einen genaueren Blick auf das Unternehmen.

Das Wichtigste in Kürze
  • Führendes Unternehmen im Bereich der Kommunikationsdienstleistungen für die Kundenbeziehung
  • Starkes Wachstum bei ausbleibender Profitabilität
  • Ähnliche Bewertung wie andere Technologieaktien bei sich ausweitenden Verlusten

Kurzprofil von Twilio

Das oben genannte Beispiel der Kundenkommunikation ist nur eine der vielen Möglichkeiten, die Kundenkommunikation mit Twilio zu verbessern. Das Unternehmen selbst definiert sein Geschäftsmodell als Bereitsteller von Programmier-Funktionalitäten für Kommunikationslösungen. Twilio ist eine sogenannte Communication Platform as a Service (CPaaS). Diese sind dienen dazu die Kundenkommunikation aufzubauen und zu skalieren und somit das Kundenerlebnis zu verbessern. Hierfür muss der Kunde die Kommunikationslösung nicht von Grund auf neu erfinden, sondern kann auf vorgefertigte Bausteine der Plattform zurückgreifen.

Die Umsetzung eines Anwendungsfalls für einen Geschäftskunden von Twilio könnte beispielsweise folgendermaßen aussehen. Der Kunde kauft eine Telefonnummer bei Twilio. Was nach einem Anruf dieser Telefonnummer geschehen soll, kann der Kunde anschließend individuell programmieren. Ein Kunde könnte beispielsweise wie oben beschrieben, nach dem Grund für seinen Anruf gefragt werden. Anschließend kann er dann zum richtigen Ansprechpartner innerhalb des Kundenservice weitergeleitet werden.

Rund um diese Telefonnummer bietet Twilio dann zahlreiche weitere Dienstleistungen an, wie automatische Versandbestätigungen, aktives und automatisiertes Marketing via SMS oder auch automatisierte Umfragen. Auch die häufige “Zwei-Faktoren-Authentifizierung” wie z. B. bei der Anmeldung im Online Banking wird von Twilio abgewickelt. Ebenso besteht Möglichkeit der Integration der Twilio Dienstleistung in bereits vorhandene Prozesse, Dienstleistungen oder Apps.Twilio Investor Präsentation

Quelle: Twilio Investor Präsentation 2020

Twilio ermöglicht es Personen auch anonym in direkten Kontakt zu treten. Dies ist bei Vermittlungsplattformen wie der Häuservermittlung oder bei der Buchung von Fahrten relevant. Bei der Häuservermittlung können so die Makler angerufen werden. Gleichzeitig kann ein Makler anhand der individuellen Telefonnummer erkennen, für welches Objekt der Interessent anruft. Twilio kann Unternehmen so auch mit Statistiken unterstützen, die mit dem Kundenverhalten zusammenhängen. Ein Beispiel ist hier die Auswertung, wie viele Kunden pro inseriertem Objekt angerufen haben.

Bei Lyft kann ein Kunde eine Fahrt via Telefon buchen, in dem er die von Twilio bereitgestellte Nummer anwählt. Diese leitet den Anruf dann über eine Schnittstelle an den Fahrer weiter, der zusätzliche Informationen wie mögliches Ziel, Länge der Fahrt und den Standort des Kunden erfährt, ohne seine persönliche Nummer anzugeben.

Neben Dienstleistungen in Form von individuellen Telefonnummern bietet Twilio auch Dienstleistungen via E-Mail, SMS, Sprachnachricht oder anderen Kommunikationskanälen an. Mithilfe seine weltweiten Cloud-Datencenter ist Twilio in nahezu jedem Land weltweit aktiv.

Wie ist Twilio geführt?

Das Unternehmen wird von Jeff Lawson seit der Gründung 2008 geführt. Der Gründer Lawson ist somit bereits seit 14 Jahren CEO von Twilio. Er ist gleichzeitig auch Chairman der Firma, was dem deutschen Aufsichtsratsvorsitz gleichkommt. Vor Twilio gründete Lawson bereits drei weitere Unternehmen.

Auffällig ist, dass Twilio in seinem Vorstand einen „Chief Diversity Officer“ installiert hat. Lybra Clemens hat diesen Posten inne und soll für Vielfalt, Inklusion und Gleichbehandlung innerhalb des Unternehmens sorgen. Ein Vorstandsposten extra für Diversity und Gleichbehandlung zeigt, dass Twilio das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter am Herzen liegt.

Das Board of Directors (vergleichbar mit dem deutschen Aufsichtsrat) hat namhafte Mitglieder aufzubieten. Neben dem ehemaligen Chief Information Officer von Amazon befinden sich hierin Vorstandsvorsitzende von mehreren Unternehmen sowie der ehemalige Finanzvorstand von Oracle. Diese geballte Erfahrung bietet eine große Unterstützung für Lawson.

Financials von Twilio

Auf den ersten Blick lesen sich die Zahlen für das vierte Quartal 2021 beeindruckend: Twilio konnte im Umsatz um 54 Prozent wachsen und setzte innerhalb des Quartals 843 Millionen US Dollar um. Für das Gesamtjahr betrug das Umsatzwachstum sogar 61 Prozent. Insgesamt kann Twilio seit 2016 im Durchschnitt auf ein jährliches Umsatzwachstum von 59 Prozent zurückblicken.Twilio Umsatzentwicklung

Quelle: Twilio Earnings Präsentation Q4 2021

Das organische Wachstum im vierten Quartal lag jedoch lediglich bei 34 Prozent. Das nicht-organische Umsatzwachstum stammt vor allem von Akquisitionen sowie durch höhere Gebühren durch die großen Netzwerkanbieter.

Für die automatisierte Kommunikation einer Anwendung mit einer Person mittels einer Telefonnummer oder SMS muss Twilio eine Gebühr an die Netzwerkanbieter zahlen. Diese Gebühren reicht Twilio an seine Kunden weiter. Das Ergebnis ist eine künstliche Erhöhung des Umsatzwachstums bei einer Erosion der operativen Margen, da Twilio an diesen Einnahmen nichts verdient. Die Bruttomarge lag somit bei 51,3 Prozent im vierten Quartal 2021, hätte aber ohne die höheren Gebühren bei 54,8 Prozent gelegen. Zum 1. März 2022 wurden diese Gebühren erneut erhöht, was voraussichtlich eine weitere Verschlechterung der Margen zur Folge haben wird.

Auffällig ist außerdem, dass Twilio es schafft, die Abhängigkeit von seinem Heimatmarkt in den USA zu verringern. Während im Jahr 2019 noch 29 Prozent des Gesamtumsatzes außerhalb der USA erzielt wurden, waren es in 2021 schon 34 Prozent. Das ist grundsätzlich ein gutes Zeichen und zeigt, dass Twilio in anderen Märkten Fuß fassen kann.

Die Dollar-based Net Expansion Rate (DBNER), die angibt, wie viel das Unternehmen mit bisherigen Kunden im Vergleich zum Vorjahr verdient, ist jedoch im letzten Jahr deutlich gesunken. Ein Wert über 100 Prozent gibt an, dass bestehende Kunden mehr für Dienstleistungen von Twilio ausgeben als im Vorjahr. Aktuell geben Kunden bei einer DBNER von 126 Prozent zwar immer noch 26 Prozent mehr aus als im Vorjahr, im vierten Quartal 2020 lag dieser Wert jedoch noch bei 139 Prozent. Investoren sollten die Verschlechterung der DBNER im Auge behalten.

Für das Jahr 2022 hat Twilio sich zum Ziel gesetzt, organisch um 32 - 34 Prozent zu wachsen. Dies ist eine deutliche Abschwächung des Wachstums, was nach dem starken Vorjahr jedoch normal ist. Ein Wachstum von mehr als 30 Prozent ist durchaus als hoch anzusehen. Im Vergleich zum vierten Quartal 2021 mit einem Wachstum von 34 Prozent soll das Wachstum nahezu gleich bleiben.

Wichtige Kennzahlen von Twilio

Twilio hat einen Cashbestand von 5,9 Milliarden Dollar. Dieser reicht aktuell locker aus, um die Gesamtverbindlichkeiten zu bedienen.

Twilio Bilanz

Quelle: aktien.guide

Auffällig ist außerdem, dass Twilio sein Vermögen fast ausschließlich aus Eigenkapital bezieht. Das spricht dafür, dass Twilio in den vergangenen Jahren die hohe Bewertung des Unternehmens mehrfach zur Kapitalaufnahme nutzte und so die bestehenden Aktionäre verwässerte, denn aktuell hat das Unternehmen einen negativen operativen Cash-Flow und kann deshalb selbst noch kein Cash aufbauen.Twilio ausstehende Aktien

Quelle: aktien.guide

Bedingt durch das starke Umsatzwachstum hat Twilio demnach einen Rule-of-40 Score von 58 Prozent, der laut der HGI-Strategie als sehr gut zu werten ist. Die Bruttomarge geht über die vergangenen Jahre hinweg kontinuierlich zurück und liegt auf Basis der vergangenen 12 Monate bei 45 Prozent.

Twilio Bruttomarge

Quelle: aktien.guide

Eine Bruttomarge von 45 Prozent ist für ein Software und Cloud Unternehmen eine eher geringe Marge und deshalb aus HGI-Sicht negativ zu werten.

Bewertung der Twilio-Aktie

Twilio weist derzeit ein EV/Sales von 7,3 auf. Dies liegt in etwa auf dem Niveau von anderen Technologieaktien wie Fiverr, Fastly oder Zoom (Stefan Waldhauser berichtete).

EV/Sales Twilio Peer-Group

Quelle: aktien.guide

Im Unterschied zu Fiverr und Zoom, die profitabel oder zumindest an der Schwelle zur Profitabilität stehen, allerdings schreibt Twilio derzeit Verluste. Im Gegenteil: Twilios Bruttomargen sinken kontinuierlich und im vierten Quartal 2021 wies Twilio einen deutlich höheren Verlust pro Aktie von 1,63 Dollar gegenüber 1,13 Dollar im Vorjahresquartal. Und das trotz einer deutlich gestiegenen Aktienanzahl (179 Millionen gegenüber 158 Millionen ein Jahr zuvor), die Verluste pro Aktie insgesamt mindern sollten.

Twilio entfernt sich demnach weiter von der Profitabilität. Man wird das Unternehmen also auch in den kommenden Jahren nicht auf Basis von Unternehmensgewinnen vergleichen können. Dementsprechend ist fraglich, wie gerechtfertigt die aktuelle Bewertung trotz des hohen Wachstums ist. Zumindest verglichen mit anderen, stark gefallenen Unternehmen, die positive Margen aufweisen.

Fazit zu Twilio

Twilio hat eine für Unternehmen hilfreiche Software zur Kundenkommunikation geschaffen und ist derzeit eines der führenden Unternehmen in diesem Bereich. Das Unternehmen hat ein hohes Cash-Polster und wird auf Jahre hinaus unprofitabel wirtschaften können, ohne in finanzielle Probleme zu geraten. Dementsprechend investiert Twilio aktuell weiter in Wachstum – auch mittels Akquisitionen. Aus fundamentaler Sicht, auch im Hinblick auf die steigenden Zinsen, die in der Theorie in der Zukunft liegende Gewinne stärker abzinsen, sind derzeit andere Unternehmen wie beispielsweise Zoom, die ebenfalls in den Markt der Kommunikation mit Kunden drängen, interessanter.



Wenn Du wöchentlich neue Investmentideen und kostenlose Aktienanalysen, die nach der Levermann-, High-Growth-Investing- oder Dividenden-Strategie ausgewählt wurden, per E-Mail bekommen möchtest, dann kannst Du jetzt unseren kostenlosen aktien.guide Newsletter abonnieren.

Der Autor und/oder mit dem aktien.guide verbundene Personen oder Unternehmen besitzen oder können Anteile von Twilio, Inc. besitzen. Dieser Beitrag stellt eine Meinungsäußerung und keine Anlageberatung dar. Bitte beachte die rechtlichen Hinweise.

Autor: Lukas Langer

Lukas Langer hat einen Masterabschluss im Wirtschaftsingenieurwesen. Er hat bereits während des Studiums praktische Erfahrung in einem DAX-Konzern und in der Unternehmensberatung gesammelt. Als begeisterter Privatanleger ist es sein Ziel, Anleger & Anlegerinnen dabei zu unterstützen, mit dem aktien.guide bessere Investmententscheidungen zu treffen.