Gilead Sciences Aktie: Boom durch Corona-Medikament?

29.07.2020 | Frank Seehawer

Analyse der Gilead Sciences Aktie - Mann mit Mikroskop


Der Biotechnologiesektor galt lange Zeit als ein Boom-Sektor und kann auch heute noch große Gewinnchancen für Investoren beinhalten. Die Dynamik hat sich jedoch etwas verlagert: Während große Biotechnologie-Konzerne im Wachstum schwächeln, gibt es zahlreiche kleine Aktien, die sich im Kurs vervielfachen.

Attraktiv wirkt die günstige Bewertung einzelner Biotech-Riesen. Hierzu zählt auch die Aktie des US-Konzerns Gilead Sciences (ISIN: US3755581036).

Das Unternehmen überzeugt mit seinem starken Produktportfolio, welches auf Medikamente für HIV- und Hepatitis-Patienten ausgerichtet ist. Diese spülen viel Cash ins Unternehmen, welches mittlerweile zu großen Teilen für Aktienrückkäufe und Dividenden ausgeben wird. Die Finanzlage erscheint solide und auch die Bewertung überzeugt mit einem beinahe einstelligen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Ob die Aktie trotz eines schwachen erwarteten Wachstums dennoch ein Kauf sein kann, das werden wir mit der aktuellen Analyse der Gilead Sciences Aktie prüfen.


Unternehmensprofil – HIV und Hepatitis Medikamente dominieren

Gilead Sciences ist ein amerikanisches Biotechnologie-Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung von rund 95 Milliarden US-Dollar. Das im Jahr 1987 gegründete Unternehmen hat sich auf die Anwendungsgebiete HIV/AIDS, Leber- und Herz-Kreislauferkrankungen, Hämatologie, Onkologie sowie Atemwegserkrankungen spezialisiert. Besonders stark ist das Unternehmen im Bereich von HIV- und Hepatitis-Medikamenten. So wurden beispielsweise im ersten Quartal 2020 über 75 Prozent der Umsätze mit HIV-Medikamenten erzielt.

Auf dem Gebiet der Atemwegserkrankungen bekam der Konzern durch die Coronakrise eine erhöhte Aufmerksamkeit, denn Gilead Sciences verfügt mit Remdesivir über ein mittlerweile zugelassenes Medikament zur Behandlung von Covid-19 Patienten.

Ursprünglich wurde das Medikament zur Behandlung des Ebola Fiebers entwickelt. Zu einer Fertigstellung kam es aufgrund geringer Erfolgschancen zum damaligen Zeitpunkt nicht. Das Coronavirus SARS-CoV-2 verhalf dem Medikament zu einer zweiten Chance, die zu einer Weiterentwicklung führte – mit Erfolg, denn aktuell gibt es in einigen Ländern eine Sonderzulassung zur Behandlung schwerer Covid-19 Fälle. Es ist damit eines der ersten zugelassenen Medikamente auf diesem Gebiet.

Auch ohne das Remdesivir-Medikament gehört der in Foster City (Kalifornien) ansässige Konzern mit einem Jahresumsatz im Geschäftsjahr 2019 von 22,4 Milliarden US-Dollar und einem Gewinn von 5,4 Milliarden US-Dollar zu den größten Biotechnologie-Konzernen der Welt. Ein ähnliches Schwergewicht hatten wir mit Biogen, bei dem selbst der Value-Guru Warren Buffett investiert ist, bereits in der Vergangenheit analysiert.

Viel wichtiger als die aktuellen Finanzkennzahlen ist die Produktpipeline, denn diese könnte für zukünftiges Wachstum stehen, welches in der Vergangenheit recht schwach ausfiel. Aktuell verfügt Gilead Sciences über elf Phase-3-Kandidaten, die das Potenzial einer Marktzulassung haben.


Die letzten Quartalszahlen und der Ausblick

Besser als das Geschäftsjahr 2019 verlief der Start in das Geschäftsjahr 2020. Hier konnten im ersten Quartal die Umsatzerlöse gegenüber dem Vorjahresquartal um 5 Prozent auf 5,5 Milliarden US-Dollar gesteigert werden. Auch das operative Ergebnis konnte von 2,2 Milliarden US-Dollar um 7,4 Prozent auf 2,4 Milliarden US-Dollar gesteigert werden. Die operative Marge beläuft sich damit auf 43,3 Prozent.

Beim Nettoergebnis, dem Net Income, wurde am Ende ein Betrag von 1,54 Milliarden US-Dollar erreicht. Dieser Wert liegt um 21,8 Prozent unter dem Vorjahreswert von 1,97 Milliarden US-Dollar.

Beim Ausblick für das Gesamtjahr 2020 gibt es vom Management keine konkreten Zahlen. Die Covid-19 Pandemie bringt Unsicherheiten mit sich, soviel scheint klar zu sein. Im ersten Quartal 2020 hatte sie keinen wesentlichen Einfluss auf die Finanzkennzahlen. Kurzfristig könnte die Krise allerdings die Geschäfte tangieren, beispielsweise durch eine verzögerte Therapie bei HIV und HCV-Patienten.

Analyse der Gilead Sciences Aktie - Gewinnwachstum

Analystenschätzungen, die der aktien.guide für seine Berechnungen verwendet, gehen von einem Gewinn je Aktie von 6,78 US-Dollar für das Geschäftsjahr 2020 aus. Der Betrag soll sich im Folgejahr 2021 auf 6,86 US-Dollar erhöhen. In Summe entspricht dies einem erwarteten Gewinnwachstum von gerade einmal 1,2 Prozent. Und auch das erwartete Gewinnwachstum im Geschäftsjahr 2020 würde sich auf gerade einmal 2,3 Prozent belaufen (Verglichen mit den Non-GAAP Zahlen aus 2019).


Aktienkursentwicklung und wichtige Kennzahlen der Gilead Sciences Aktie

Analyse der Gilead Sciences Aktie - Aktienkurs

Besonders gute Kennzahlen, für die es in der Levermann-Analyse auch Punkte gab, sind die Eigenkapitalrendite, die EBIT-Marge sowie die Eigenkapitalquote.

Die Eigenkapitalrendite berechnet sich aus dem Gewinn in Relation zum Eigenkapital und erreichte einen Wert von 23,8 Prozent für das Geschäftsjahr 2019. Der gute Wert reichte aber nicht für eine Platzierung unter den Top-Aktien mit attraktivem Eigenkapitalrenditen der Levermann-Strategie.

Analyse der Gilead Sciences Aktie - Eigenkapitalrendite

Ein ähnliches Bild ergibt auch die Analyse der EBIT-Marge sowie der Eigenkapitalquote. Gemessen an den Werten des letzten Geschäftsjahres werden hier zwar gute Werte erreicht, für eine Platzierung unter den Top-Aktien der Levermann-Strategie reichen die Werte allerdings nicht.

Analyse der Gilead Sciences Aktie - EBIT-Marge

Weiter sind die relativ gute Finanzlage und hohe Profitabilität ein Kennzeichen von Gilead Sciences. Im ersten Quartal 2020 wurden liquide Mittel (Cash und marktfähige Investments) im Wert von 24,3 Milliarden US-Dollar bilanziert. Ihnen standen langfristige Finanzverbindlichkeiten in Höhe von 28,7 Milliarden US-Dollar gegenüber.

Zu guter Letzt fällt das Biotech-Unternehmen noch durch seine Shareholder-Value Aktivitäten auf. Im ersten Quartal 2020 wurden nämlich eigene Aktien im Wert von 1,3 Milliarden US-Dollar gekauft und 874 Millionen US-Dollar an Dividenden ausgeschüttet. Die aktuelle Dividendenrendite beläuft sich auf 3,7 Prozent und wurde seit 2015, dem ersten Jahr der Zahlung, stetig erhöht.


Bewertung der Gilead Sciences Aktie

Analyse der Gilead Sciences Aktie - KGV aktuell

Gemessen an dem Kurs-Gewinn-Verhältnis ist die Gilead Sciences Aktie mit einem Wert von elf optisch günstig. Unter Einbeziehung des schwachen Gewinnwachstums, welches im niedrigen einstelligen Bereich erwartet wird, könnte die Bewertung als fair ausgelegt werden. Historisch gesehen wurde über die letzten fünf Jahre ein durchschnittliches KGV von 14,4 gezahlt.

Analyse der Gilead Sciences Aktie - Kennzahlen

Gemessen an dem Enterprise Value von 98 Milliarden US-Dollar und dem Free Cash Flow (TTM) von 8,4 Milliarden US-Dollar errechnet sich ein leicht höherer Multiplikator von 11,7.


Fazit zur Aktienanalyse Gilead Sciences

Gilead Sciences ist ein großer Biotechnologiekonzern mit überzeugenden fundamentalen Kennzahlen und einem niedrigen KGV. Auch tätigt das Unternehmen Aktienrückkäufe und schüttet eine gute Dividende aus.

Schlechter sieht es allerdings beim Ergebniswachstum aus. Hier können Investoren nur niedrige einstellige Zuwächse erwarten.

Die Abhängigkeit von HIV- und HCV-Medikamenten ist hoch und auch das potentielle Covid-19 Medikament Remdesivir könnte trotz eines Blockbuster-Potenzials kein Game Changer für den Konzern sein.

Sollte ein Impfstoff in den Markt gelangen, so würde damit der potenzielle Markt weiter sinken. Und auch Nachahmerprodukte sowie besser wirkende Medikamente könnten später den Druck auf das Medikament erhöhen. Das haben auch die Investoren verstanden, die den Aktienkurs trotz der Corona-Fantasie nicht wirklich auf neue Bewertungsniveaus geschickt haben.

Viel interessanter könnte daher eine Übernahme sein, denn unter den großen Pharmakonzern herrscht ein starker Konsolidierungsdruck. Konkret gab es sogar schon Gespräche zwischen AstraZeneca und Gilead Sciences bezüglich eines Zusammenschlusses.

Sollte solch ein Zusammenschluss tatsächlich stattfinden, so würden wahrscheinlich Kostensenkungen und Synergiepotenziale für Rückenwind beim Aktienkurs sorgen. Ob dadurch eine nachhaltige Trendwende entsteht bleibt fraglich, denn die Wirkungen von Kosteneinsparungen sind zeitlich limitiert.

Interessanter könnte in diesem Zusammenhang die Forschungs- und Entwicklungsarbeit von Gilead sein. Diese ist zwar sehr kostenintensiv und auch risikoreich, könnte aber langfristig das Wachstum wieder in Fahrt bringen. Bisherige Versuche von kleineren Übernahmen und zahlreiche Kooperationen in der Vergangenheit brachten nur wenig Wachstum. Die Hoffnung bleibt aber bestehen, denn im letzten Jahr wurde mit über 9,1 Milliarden US-Dollar ein Rekordwert investiert.

Ob Gilead Sciences langfristig ein gutes Investment sein kann, könnte damit eine Frage an genau diese Variablen sein.


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Autor: Frank Seehawer

Frank Seehawer ist mehrere Jahre als Investor Relations Manager und Wertpapieranalyst tätig gewesen. Als graduierter Ökonom beschäftigt er sich schon seit über 20 Jahren mit den Aktienmärkten im In- und Ausland. Sein Fachwissen über Aktien teilt er als freier Autor unter anderem mit den Lesern der deutschen Ausgabe von Motley Fool.